In den 1980er Jahren gründete er die Bluegrass-Band Intro, mit der er als 16jähriger in Deutschland tourte. Seine Begeisterung für die Musik von Django Reinhardt weckte die Neugierde auf Jazz und Swing. Nach seinem Umzug in die Schweiz erweiterte er sein musikalisches Repertoire mit einer Big Band. Mit einer Zuger Coverband begleitete er zahlreiche Popcover mit Banjo, Gitarre und Mandoline.
Für seine aktuelle Band Blue Acoustic Flavour komponiert und arrangiert er Musik an der Schnittstelle zwischen Pop, Folk, Latin, Bluegrass und Alternative Country. Diese Kombination hat bei zahlreichen Konzerten viele Fans gefunden. Scheitern, Hoffnung, Geschichte, Alltag, Sehnsucht und Lebensfreude sind in den Liedern und Instrumentalstücken zu einem Klangkunstwerk verwoben.
Siggi, stammst Du aus einer musikalischen Familie?
Jein… meine Eltern waren musikalische Analphabeten. Aber mein Grossvater spielte klassische Geige, Saxophon und leitete eine Bigband. Ihn habe ich allerdings nie kennengelernt. Ob genetisch da etwas rüberkam weiss ich nicht… (lacht)
Seit wann spielst Du Musik?
Ich begann um 1978 im Selbststudium auf der Gitarre herum zu klimpern. Dann hörte ich oft Jean Marie Peschiutta (Detour, Free Wheelin), weil er in meiner Geburtsstadt Marburg/Lahn in Deutschland lebte. Er spielte unter anderem Banjo und ich war sofort von dem Instrument fasziniert. Das erste Stück, das ich hörte, war John Hartfords Steam Powered Aeroplane. Das wollte ich können! Jean-Marie war mit Truckee und allen Grössen der deutschen Bluegrass Community befreundet und öffnete mir die Ohren für David Grisman, Tony Rice, Tony Trischka, Jean-Marie Redon und vielen anderen. Nur die ursprüngliche Bluegrass- und Old-Time Musik blieb mir damals verwehrt. Mein bester Freund Uwe Fischer und ich gründeten im Alter von fünfzehn Jahren unser Duo und traten mit einem Repertoire von Bill Keith, der Nitty Gritty Dirt Band, den Byrds und von Country Gazette auf. Das Witzige daran war, dass wir einen zehn Jahre älteren Bassspieler fanden, der einen Führerschein besass. Mit ihm und dem Einverständnis unserer Eltern durften wir in frühen Jahren in ganz Deutschland spielen. Dabei lernte ich in München Mark Stoffel, der heute bei Chris Jones & The Night Drivers spielt, kennen und wir waren Anfang 80er zu viert unter dem Namen Intro weitgehend im süddeutschen Raum unterwegs. Nachdem Mark sich nur noch auf München konzentrieren wollte, hat sich Intro als Band aufgelöst und ich zog nach Stuttgart. Dort habe ich aber niemanden kennengelernt, der progressiven Bluegrass machen wollte. Es gab leider noch kein Internet und ich hörte für fünfzehn Jahre lang auf Musik zu spielen.
Was für Instrumente spielst Du?
Ich war immer fasziniert von Darol Anger und Mike Marshalls «The Duo» Album. Und darauf spielt Mike Mandocello. Ich habe vor fünf Jahren angefangen, dieses Instrument zu lernen. Da die Mandoline von der Orientierung her auf dem Griffbrett gleich ist, habe ich auch gleich angefangen dieses Instrument zu lernen. Hinzu kommt, dass ich in meinen Stücken oft bestimmte Sounds haben will. Deshalb beschäftige ich mich noch mit der E-Gitarre und dem Klavier.
In welchen Musik Genres hast Du Musik gespielt?
Als ich 1992 in die Schweiz kam, fragte mich eine Big Band für Tanzmusik an. Das war für mich ziemlich gewöhnungsbedürftig. Aber es war nach fünfzehn Jahren Bühnen- und Instrumentenabstinenz wieder der Einstieg in die Musik. Ich lernte dort auch Tessiner Lieder und tolle Menschen kennen. Zwei Jahre später lernte ich die Musiker von Irish Coffee, die damals im Raum Luzern bekannte Irish Folk Rock Band, kennen und konnte dort Banjo spielen.
Bei einer Session traf ich dann Musiker mit Interesse für Rock und Folk. Mit Stefan Behler und einem weiteren Freund gründeten wir die Band Corona Blend.
Seit wann hast Du Deine eigene Band?
Nach dem Ausstieg aus Irish Coffee realisierte ich, dass meine Musikabstinenz mich musikalisch weitergebracht hatte. Ich hörte aktiv Klassik, Jazz, Klezmer und fand heraus, dass ich selber Instrumentalstücke schreiben konnte. Ich fühlte mich nach der Auszeit nicht verbraucht, sondern hungrig mit meinen Erfahrungen selbst Musik zu schreiben. Am Anfang war die Musik sicherlich stark beeinflusst von Béla Fleck & The Flecktones. Ich experimentierte mit Synthesizer und E-Banjo, realisierte aber schnell, dass für reine Instrumentalmusik der Boden sehr schwer zu bearbeiten ist.
Da ich ein Kunststudium gemacht habe, war es mir immer wichtig mich persönlich ausdrücken zu können. Neue Wege zu denken und zu gehen. Nicht zu reproduzieren, was andere vielleicht viel besser können oder schon -zig Mal gecovert haben. Ich suchte jahrelang – fast schon verzweifelt – nach Musikern, die meine Ideen teilen wollten. Dank Internet und einer Jamsession lernte ich Musiker kennen, die mich seit 2015 bei Blue Acoustic Flavour begleiten.
Du spielst nicht eigentlich Bluegrass Musik. Wie nennst Du deinen Stil?
Transatlantic Music – Songs & Stories. Der Titel passt sehr gut, da wir Elemente der amerikanischen und europäischen Kultur kombinieren. Ich lebe in Europa und werde nie das amerikanische Lebensgefühl haben. Ich kann mich aber in verschiedene Musikstile einfühlen und Bluegrass, Latin, Irish mit eigenen Geschichten kombinieren.
Mit unserer Musik verstehe ich mich als Bindeglied zwischen Bluegrass-Freunden und Zuhörern, welche Bluegrass nicht kennen. Ich erlebe oft, dass den Bluegrassern unsere modernen Songs gefallen. Gleichzeitig beginnen sich Zuhörer für Bluegrass Musik zu interessieren, welche diese Musik bisher noch nicht kannten.
Du schreibst viele eurer Songs selbst?
Ja, zusammen mit dem Neuseeländer Robert Jackson. Neben meiner Frau der zweite Lottogewinn in meinem Leben.
Wie kommst Du auf Deine Ideen, um eigene Stücke zu schreiben?
Als ich anfing mit Robert zu arbeiten, hatte ich eine riesige Sammlung an Instrumentalstücken und er eine Menge Geschichten. Ich erzählte ihm von meinen Stories und bat ihn darüber ein paar Strophen zu schreiben. Es hat sofort gefunkt. Es ist wie Ping-Pong spielen. Wir haben oft innerhalb von ein paar Tagen einen neuen Song. Darüber hinaus korrigiert er meine Aussprache und ersetzt Worte, die ich schlecht aussprechen kann und passt den Text meinen Fähigkeiten an.
Wie gehst Du beim Komponieren vor?
Ich hocke mich hin, klimpere herum und warte, dass die Muse mich küsst. Nein! Wenn der Text zuerst da ist, versuche ich den Charakter, die Stimmung zu ergründen und fange an Akkorde zu finden und etwas einzubauen, das ich spannend finde. Der andere Weg ist der, dass mir einfach eine Melodie einfällt. Ja, die Muse küsst mich manchmal und dann suche ich darüber Akkorde, die mir gefallen. Rebel Moon ist so ein Song. Ich war letztes Jahr in Irland und mir lief diese Melodie nach, immer wieder. Ich kaufte dort eine Gitarre und habe das Stück als Instrumental in Irland entwickelt. Robert hat dann innerhalb von drei Tagen einen wunderschönen Text dazu gemacht.
Was inspiriert Dich zu den Texten?
Wenn es um Ideen geht, glaube ich, dass ich angefangen habe mein Leben zu reflektieren. Persönlichkeiten, Menschen, Orte und Ereignisse, die mich in meinem Leben bewegt haben, bekommen einen Platz in meinen Songs. So gibt es Songs über die mexikanische Künstlerin Frida Kahlo, Theodor Fontanes Brück’ am Tay, oder einen bewegenden Text über die Flüchtlingssituation vor zwei Jahren und das Ankommen in einer fremden Welt und wie wichtig es ist, Freundschaften zu schliessen und zu pflegen. Auch Dankbarkeit für das, was andere für einen getan haben findet Platz in meinen Texten.
Hast Du Pläne ins Studio zu gehen?
Oh ja. Schon seit drei Jahren. Ich habe mittlerweile Material für fünf CDs. Der Wegzug unserer Geigerin hat mich da etwas ausgebremst, weil ich mit einer intakten Band arbeiten wollte. Nun plane ich dies im Frühjahr/Sommer zu tun.
Du hast seit neuestem einen neuen Fiddler? Wer ist er?
Ja genau. Nach langer Suche fand ich Gabriel Miranda Martinez ein toller Geiger aus Spanien. Er spielt unter anderem beim 21th Century Orchestra und war für uns die ideale Besetzung. Menschlich und musikalisch passt das einfach und das ist für mich wichtig.
Ich habe gehört, dass Du letztes Jahr bei Béla Flecks Banjocamp dabei warst.
Oh ja, ich musste mich dafür bewerben und durfte mit weiteren hundert weltweit ausgewählten Banjospielern eine Woche Unterricht bei Tony Trischka, Kristin Scott Benson, Mike Munford, Steve Cooley und natürlich Béla Fleck erleben.
Es war für mich ein absolutes Highlight. Nicht nur der Instruktoren wegen, sondern ich hatte zum ersten Mal das Gefühl, musikalisch heimgekommen zu sein. Wenn Du mit den Amerikanern spielst, klingt es gleich richtig und sie verstehen was Du machst! Die wissen einfach wie es richtig tönen muss. Es ist ihre musikalische DNA.
In North Carolina wusste jeder sofort was ich meinte, wenn ich anfing über New Acoustic Music zu sprechen. Auch lernte ich zahlreiche neue Musiker kennen, mit denen ich heute immer noch Kontakt habe.
Wie sah denn das Programm im Banjocamp aus?
Das war sehr strukturiert! Morgens um sieben Uhr Körperwahrnehmung, um acht Frühstück, um neun Bélas Vortrag anschliessend Unterricht, Mittagessen, Unterricht, Abendshow und dann jammen bis morgens gegen zwei Uhr. Wer früher gehen wollte konnte dies natürlich. Jammen konnten wir mit den Steep Canyon Rangers, der Band des Komikers Steve Martin. Das war alles auf hohem Niveau.
…und was hat Dich dort am meisten beeindruckt?
Die Atmosphäre. Jeder ist offen und tauscht mit Dir Ideen, spielt mit Dir. Mit dem Banjobauer Tom Nechville sass ich tatsächlich bis morgens um zwei Uhr zusammen und wir jammten und hatten riesig Spass miteinander.
Musiker zu sein nimmt bei Dir offensichtlich einen sehr grossen Platz ein. In welchem Beruf arbeitest Du eigentlich im «bürgerlichen» Leben?
Ich darf Schülerinnen und Schülern im Fach Bildnerisches Gestalten als Lehrer die Kreativität entlocken.
Vielen Dank für das Interview! Ich wünsche Dir und Blue Acoustic Flavour in der Zukunft viel Erfolg!
Interview Beat Heri / Foto Ingo Höhn